ALLGEMEINE INFORMATIONEN
Über die politische Ausgangslage in Syrien informiert das
US Department of State (USDOS): Das Land mit einer Bevölkerung von rund 21 Millionen EinwohnerInnen ist eine Republik unter der autoritären Führung von Präsident Baschar al-Assad. Der Präsident trifft wichtige Entscheidungen nach Beratung mit ausgewählten SicherheitsberaterInnen, MinisterInnen und hochrangigen Mitgliedern der regierenden Baath-Partei (Arabische Sozialistische Partei der Wiedererweckung). Gemäß der Verfassung des Landes sind Führungspositionen innerhalb der staatlichen Institutionen und der Gesellschaft hochrangigen Mitgliedern der Baath-Partei vorbehalten. Präsident Assad und die Parteiführung halten Exekutive, Legislative und Judikative unter ihrer Kontrolle. Im Jahr 2007 wurde Assad in einem Referendum in seinem Amt als Präsident bestätigt und damit für eine zweite siebenjährige Amtszeit gewählt. Allerdings war das Referendum, bei dem mit „Ja“ oder „Nein“ votiert werden konnte, einheimischen und internationalen MenschenrechtsaktivistInnen zufolge weder frei noch fair. Die Sicherheitskräfte sind laut USDOS Zivilbehörden unterstellt (USDOS, 8. April 2011). Dem Congressional Research Service (CRS) zufolge hat der seit 1963 geltende Ausnahmezustand den Sicherheitskräften freie Handhabe bei der Unterdrückung oppositioneller Kräfte eingeräumt (CRS, 3. Juni 2011, S. 19).
Politische Eckdaten zu Syrien werden auch von
Freedom House (FH) zur Verfügung gestellt: FH, März 2012
Syrien zählt zu den Ländern im Nahen Osten und Nordafrika, in denen sich 2011 eine Protestwelle der Demokratiebewegung ausgebreitet hat. Die Demonstrationen wurden durch Volksaufstände in Tunesien und Ägypten, bei denen die langjährigen, autokratischen Herrscher der Länder gestürzt wurden, ausgelöst (
BBC, 25. April 2011). Laut CRS haben hohe Arbeitslosigkeit und Inflation, begrenzte Aufstiegsmöglichkeiten, zügellose Korruption, Mangel an politischen Freiheiten und repressive Sicherheitskräfte die Unterstützung für das herrschende Regime in Syrien schwinden lassen (
CRS, 3. Juni 2011, S. 1).
Zur geographischen Verbreitung der Proteste stellt eine zu Syrien eingerichtete Fact-Finding-Mission des UNO-Menschenrechtsrates fest, dass die Demonstrationen zunächst in benachteiligten Regionen begonnen und sich im Laufe einiger Wochen auf das ganze Land ausgebreitet haben (
HRC, 15. September 2011, S. 8). Obwohl Demonstrationen auch in Damaskus und Aleppo stattgefunden haben, war das Ausmaß der Proteste über lange Zeit dort geringer als andernorts. Dies könnte darin begründet liegen, dass ein gewisser Teil der Bevölkerung beider Städte das Regime Assads unterstützt (
CRS, 3. Juni 2011, S. 5).
Im März 2012 stellt HRW fest, dass die Proteste bis September 2011 weitgehend friedlich verlaufen sind. Seitdem greifen Berichten zufolge allerdings immer mehr Deserteuere und BewohnerInnen zu Waffen, um sich gegen von Sicherheitskräften verübte Angriffe auf ihre Städte zu verteidigen (
HRW, 20. März 2012). Laut International Crisis Group (ICG) sind einfache Waffen aufgrund des intensiv betriebenen Waffenschmuggels für viele zugänglich
(ICG, 3. November 2011).
RFE/RL erwähnt am 13. Juni 2012, dass UNO-Untergeneralsekretär für Friedenssicherung Hervé Ladsous einer Einschätzung zugestimmt hat, der zufolge sich Syrien – angesichts der Versuche der Regierungskräfte, an Rebellen verlorene Gebiete zurückzugewinnen – inzwischen in einem umfassenden Bürgerkriegszustand befindet. (
RFE/RL, 13. Juni 2012)
Laut einem am 15. Juni 2012 von RFE/RL veröffentlichten Artikel liegen Anzeichen für einen religiös motivierten Konflikt in Syrien vor. Das deutlichste Anzeichen ist dabei die Sichtbarkeit der Shabiha-Miliz, deren Mitglieder – ebenso wie die regierende Assad-Familie – den Alawiten angehören und die verdächtigt werden, für ein am 25. und 26. Mai 2012 verübtes Massaker in der sunnitische Ortschaft Houla verantwortlich zu sein. (
RFE/RL, 15. Juni 2012)
Zudem erwähnt BBC am 2. August 2012, dass Dschihadisten – Personen, die sich für die gewaltsame Errichtung eines islamischen Staates einsetzen – begonnen haben, als Kämpfer in dem Konflikt in Erscheinung zu treten (
BBC, 2. August 2012).
Eine Karte zu Protesten und gewaltsamen Zusammenstößen im Zeitraum von März bis Dezember 2011 ist unter folgendem Link verfügbar:
Nach Angaben von UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon vom Mai 2012 sind seit Beginn der Proteste 10.000 Personen im Zusammenhang mit den Unruhen getötet worden (
BBC, 18. Mai 2012). Darüber hinaus beläuft sich laut Angaben des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) vom August 2012 die Zahl der nach Jordanien, in den Libanon, den Irak und die Türkei geflohenen SyrerInnen auf 131.649 (
UNHCR, 3. August 2012, S. 1). Weitere 1,5 Millionen Personen sollen innerhalb Syriens vertrieben worden sein, so Schätzungen des Syrisch-Arabischen Roten Halbmondes (
IRIN, 20. Juli 2012).
Laut einem von AlertNet Ende Dezember 2011 veröffentlichten Artikel sind Berichte über die Ereignisse in Syrien nur schwer zu überprüfen, da die meisten ausländischen JournalistInnen seit Beginn der Proteste des Landes verwiesen wurden (
AlertNet, 26. Dezember 2011). Am 20. Jänner 2012 berichtet Human Rights Watch (HRW) allerdings, dass wieder mehr Visa für ausländische JournalistInnen ausgestellt wurden. Die Behörden behindern jedoch weiterhin die Arbeit der JournalistInnen und schränken deren Bewegungsfreiheit innerhalb Syriens ein (
HRW, 20. Jänner 2012).
HAUPTAKTEURE
DemonstrantInnen und oppositionelle Kräfte
Die Mehrzahl der DemonstrantInnen zu Beginn der Proteste war dem
Guardian zufolge apolitisch, informiert, frustriert, größtenteils zwischen 20 und 40 Jahre alt sowie männlichen Geschlechts. Unterstützt werden die DemonstrantInnen von einer kleinen, jedoch wachsenden Zahl an JuristInnen, KünstlerInnen und MitarbeiterInnen von Hilfsorganisationen. Außerdem erfahren die DemonstrantInnen Unterstützung von Mitgliedern der Damaskus-Erklärung, einer sich aus liberalen und islamistischen AktivistInnen zusammensetzenden Gruppierung (Guardian, 15. April 2011). Ende September 2011 berichtet das Integrated Regional Information Network (IRIN), dass die Oppositionbewegung religiöse und ideologische Grenzen überwunden hat, die meisten ChristInnen allerdings um ihre Sicherheit nach einem möglichen Regierungswechsel fürchten und auch die DrusInnen bislang noch keine Position bezogen haben. Die syrischen KurdInnen unterstützen die Proteste (IRIN, 28. September 2011).
Laut IRIN ist ein gleichbleibender Anteil der syrischen Bevölkerung der Oppositionsbewegung gegenüber distanziert, wenn nicht gar feindlich eingestellt. Dabei reichen die Gründe für diese Haltung vom Wunsch nach Stabilität – wie etwa vom sunnitisch-christlichen Bürgertum in Damaskus und Aleppo geäußert – bis zur Wahrnehmung der Opposition als gewalttätig und radikal. Angehörige ethnischer Minderheiten fürchten indes um ihr Überleben, sollte die Regierung Assads gestürzt werden (IRIN, 23. Februar 2012).
Nach Angaben des Guardian vom 16. April 2011 fordern die DemonstrantInnen die Aufhebung der Notstandsgesetze, größere Freiheiten, das Ende der Übergriffe durch Sicherheitskräfte sowie die Freilassung aller politischen Gefangenen (
Guardian, 16. April 2011). Die zu Syrien eingerichtete
Fact-Finding-Mission des UNO-Menschenrechtsrates stellt in einem im September 2011 veröffentlichten Bericht fest, dass die Forderungen der DemonstrantInnen im Laufe der Proteste zugenommen haben und nun auch den Rücktritt von Präsident Baschar al-Assad umfassen (
HRC, 15. September 2011, S. 8).
Laut CRS hat der Organisationsgrad der Opposition im Laufe der Proteste zugenommen. Allerdings konnten sich die verschiedenen oppositionellen Gruppen bislang nicht auf eine gemeinsame Strategie verständigen (
CRS, 9. November 2011, S. 3). Die größte Oppositionsgruppe, der Syrische Nationalrat (Syrian National Council, SNC), wurde Ende August 2011 in Istanbul gegründet und besteht aus 140 Mitgliedern, von denen die Hälfte in Syrien lebt (
AFP, 19. Oktober 2011). Der SNC, zu dem auch die syrische Muslimbruderschaft gehört, hat „sofortige Schutzmaßnahmen für ZivilistInnen“ gefordert und schließt einen Dialog mit der Regierung Assad aus (
CRS, 9. November 2011, S. 3-4).
Im September 2011 wurde das Nationale Koordinationskomitee (
National Co-ordination Committee, NCC) gegründet. Es setzt sich aus 13 linksgerichteten und 3 kurdischen politischen Parteien sowie unabhängigen politischen AktivistInnen und JugendaktivistInnen zusammen. Laut BBC lehnt das NCC eine ausländische Militärintervention strikt ab und befürwortet stattdessen wirtschaftliche Sanktionen und diplomatische Maßnahmen, um den Druck auf Präsident Assad zu erhöhen. Das Koordinationskomitee hat sich außerdem für einen Dialog mit der Regierung ausgesprochen, sollte diese das Militär aus den Städten abziehen, ihre Angriffe auf DemonstrantInnen einstellen und alle politischen Gefangenen freilassen (
BBC, 1. März 2012).
Amnesty International (AI) zufolge haben sich Deserteure und andere bewaffnete Oppositionelle im Juli 2011 zur Freien Syrischen Armee (Free Syrian Army, FSA) zusammengeschlossen (
AI, 10. November 2011). Aus einem im Dezember 2011 veröffentlichten Bericht des Center for Strategic and International Studies (CSIS) geht hervor, dass die FSA, deren operative Führung in der Türkei angesiedelt ist, zu den Hauptbefürwortern einer ausländischen Militärintervention in Syrien zählt. Die FSA selbst schätzt die Zahl ihrer Kämpfer auf rund 15.000, allerdings ist in Wirklichkeit von einer geringeren Verbandsstärke auszugehen (
CSIS, 13. Dezember 2011, S. 19-20).
Regierungskräfte
In ihrem Bericht zu den Ereignissen vom 15. März bis zum 15. Juli 2011 stellt die Fact-Finding-Mission des UNO-Menschenrechtsrates fest, dass sowohl die syrische Armee als auch die Sicherheitskräfte an der Niederschlagung von Protesten und weiteren Rechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Aufstandes beteiligt waren. Angehörige der Zivilpolizei wurden indes als Ordnungskräfte bei Protesten in städtischen Gebieten eingesetzt. Darüber hinaus war die regimetreue alawitische Schabiha-Miliz für Übergriffe auf ZivilistInnen verantwortlich. Mehreren Berichten zufolge wurden die syrischen Regierungskräfte mancherorts von ausländischen Kämpfern verstärkt. (
HRC, 15. September 2011, S. 8)
Die Behörden haben wiederholt bewaffnete, vom Ausland unterstützte Terrorgruppen für die Gewalt im Land verantwortlich gemacht. (
HRW, 15. Dezember 2011, S. 3)
Einem im Jänner 2012 veröffentlichten AI-Bericht zufolge hat Präsident Assad angesichts der zunehmenden Proteste und der internationalen Verurteilung der Gewalt eine Reihe von politischen Reformen durchgeführt. Dazu zählen die Aufhebung des seit 1963 verhängten Ausnahmezustandes, die Abschaffung des Staatssicherheitsgerichts, die Freilassung politischer Gefangener sowie das Recht auf friedliche Demonstrationen und Gründung politischer Parteien. Die Gewalt gegen DemonstrantInnen wurde jedoch ungeachtet dieser Reformen, bei denen es sich vermutlich nur um „kosmetische“ Veränderungen handelte, fortgesetzt. (
AI, 9. Jänner 2012, S. 27)
RegierungsvertreterInnen haben am 10. Juli 2011 offiziell einen “nationalen Dialog” eröffnet, der den Übergang zu einer Mehrparteiendemokratie einleiten soll, berichtet die
New York Times (NYT). Die OppositionsführerInnen des Landes blieben dem Treffen allerdings fern. (NYT, 10. Juli 2011)
Am 19. Dezember 2011 hat die syrische Regierung eingewilligt, eine Beobachtungsmission der Arabischen Liga einreisen zu lassen. Die BeobachterInnen sollen die Einhaltung eines Friedensplans überwachen, dem Syrien Anfang November 2011 zugestimmt hatte (
AFP, 19. Dezember 2011). Der Friedensplan sieht neben dem Rückzug des Militärs aus den Städten die Freilassung politischer Gefangener und die Aufnahme von Gesprächen mit der Opposition vor (
AlertNet, 3. November 2011). HRW stellt Anfang Jänner 2012 allerdings fest, dass sich trotz der Präsenz der BeobachterInnen täglich Angriffe auf DemonstrantInnen ereignet haben. Des Weiteren wurden hunderte Gefangene von Haftanstalten in Militäreinrichtungen gebracht, um sie vor den BeobachterInnen zu verstecken (
HRW, 6. Jänner 2012).
Die syrische Bevölkerung war am 26. Februar 2012 dazu aufgerufen, über eine neue Verfassung abzustimmen. Diese sieht zwar ein Ende der Vormachtstellung der regierenden Baath-Partei vor, stattet Präsident Assad jedoch weiterhin mit umfassenden Machtbefugnissen aus. Laut AFP hatte die Opposition im Vorfeld der Abstimmung zum Boykott des Referendums aufgerufen (
AFP, 26. Februar 2012). Angaben des staatlichen TV-Senders zufolge sprachen sich letztlich rund 89 Prozent der ReferendumsteilnehmerInnen für die neue Verfassung aus, die Wahlbeteiligung lag demnach bei rund 57 Prozent (
BBC, 28. Februar 2012).
RFE/RL beruft sich in einem Artikel vom 27. März 2012 auf Angaben des Sprechers von Kofi Annan – dem von UNO und Arabischer Liga ernannten Sondergesandten zu Syrien – denen zufolge die Regierung einen Plan Annans zur Beendigung des Konfliktes akzeptiert hat. Der Plan sieht ein unmittelbares Ende der Gewalt, den Zugang für humanitäre Hilfsorganisationen zu umkämpften Gebieten und einen Dialog zwischen Regierung und Opposition vor (
RFE/RL, 27. März 2012). Laut Annan hat sich Präsident Assad bereit erklärt, bis 10. April 2012 mit der Umsetzung des Friedensplans zu beginnen (
AFP, 2. April 2012). BBC zufolge hat die syrische Regierung allerdings kurz vor Ablauf der Frist erklärt, ihre Truppen erst aus umkämpften Gebieten abzuziehen, wenn die Opposition „schriftliche Garantien“ dafür vorlegt, dass sie ihre Kampfhandlungen einstellt, ihre Waffen abgibt und die Wiederherstellung der staatlichen Autorität im gesamten Land zulässt (
BBC, 8. April 2012).
RFE/RL berichtet am 12. April 2012, dass die Regierung den von Annans Friedensplan vorgesehenen Truppenrückzug nicht umgesetzt hat. Des Weiteren liegen trotz Inkrafttreten eines Waffenstillstandes weiterhin Berichte über sich landesweit ereignende gewaltsame Zwischenfälle vor (
RFE/RL, 12. April 2012).
Anfang Juni 2012 haben die Rebellen der Freien Syrischen Armee den von der UNO gestützten Friedensplan für gescheitert erklärt und verkündet, dass sie sich nicht länger an den Plan gebunden fühlen, so RFE/RL (
RFE/RL, 4. Juni 2012).
Anfang Mai 2012 haben in Syrien Parlamentswahlen stattgefunden, an denen Angaben der Wahlbehörden zufolge mehr als 50 Prozent aller wahlberechtigten Personen teilgenommen haben. Laut BBC steht fest, dass die regierende Baath-Partei eine deutliche Mehrheit der Parlamentssitze erreicht hat, auch wenn ihr – zumindest formal – erstmals keine Mehrheit zugesichert worden war. Die Opposition boykottierte die Abstimmung. (
BBC, 15. Mai 2012)
WICHTIGE PROTESTEREIGNISSE UND GEWALT
2011
Seit 29. Jänner haben syrische AktivistInnen laut HRW täglich Proteste abgehalten, um ihre Solidarität mit den DemonstrantInnen in Ägypten zu bekunden. (
HRW, 3. Februar 2011)
Am 6. März ereignete sich laut CRS ein vereinzelter gewaltsamer Zwischenfall in der südlichen Stadt Dera, durch den die Protestbewegung in Gang gesetzt wurde (
CRS, 28. April 2011, S. 1). Dabei war eine Gruppe Schulkinder von Mitgliedern des Geheimdienstes wegen regimekritischer Graffiti festgenommen und anschließend gefoltert worden (
HRW, 4. Mai 2011).
Am 15. März demonstrierten rund 40 Personen in Damaskus und skandierten politische Parolen. Diese Demonstration gilt RFE/RL zufolge als erster öffentlicher Protest gegen Präsident Assad seit Beginn der Aufstände in der arabischen Welt. (
RFE/RL, 16. März 2011)
Am 16. Juni berichtet Reuters, dass Präsident Assad trotz vager Versprechungen auf Reformen Truppen zur Niederwerfung in die Zentren der Proteste entsandt hat. Insbesondere der Nordwesten Syriens, um die Stadt Jisr al-Shughour, in der nach Angaben der Behörden Anfang Juni 120 Mitglieder der Sicherheitskräfte getötet wurden, ist vom harten Vorgehen des Militärs betroffen. (
Reuters, 16. Juni 2011)
Am 23. Juni sind syrische Armee-Einheiten laut NYT in die nordwestlich gelegene Grenzstadt Khirbet al-Jouz eingerückt. Hunderte Personen, die dort Schutz in provisorischen Flüchtlingscamps gesucht hatten, flohen daraufhin in die Türkei. (
NYT, 23. Juni 2011)
Am 15. Juli haben Sicherheitskräfte landesweit mindestens 28 protestierende RegierungsgegnerInnen getötet, darunter 16 in Damaskus. Bei den Protesten handelte es sich AktivistInnen zufolge um die größten seit Beginn des Aufstandes 4 Monate zuvor. Allein in den Städten Hama und Deir Ezzor versammelten sich mehr als eine Million Menschen, um gegen die Regierung zu demonstrieren und die Freilassung inhaftierter AktivistInnen zu fordern. (
AFP, 15. Juli 2011)
Am 21. Juli haben Sicherheitskräfte laut NYT in der Stadt Homs eine Militäroffensive gestartet, nachdem es einige Tage zuvor zu religiös motivierten Zusammenstößen gekommen war. (
NYT, 21. Juli 2011)
Am 31. Juli haben Sicherheitskräfte nach Angaben von AktivistInnen die Oppositionshochburg Hama gestürmt und dabei etwa 100 protestierende RegierungsgegnerInnen getötet. Rund 40 weitere Personen wurden bei Protesten in anderen syrischen Städten getötet. (
AFP, 31. Juli 2011)
Am 10. August berichtet BBC, dass die Armee eine einwöchige Militäroperation in der Stadt Hama beendet hat. Die Anfang August durchgeführten Militäreinsätze gegen oppositionelle AktivistInnen – vor allem in Hama und in der im Osten des Landes gelegenen Stadt Deir Ezzor – wurden international verurteilt. (
BBC, 10. August 2011)
Am 14. August hat die Armee Angaben von AktivistInnen zufolge eine Militäroffensive gegen RegierungsgegnerInnen in der Stadt Latakia gestartet. Dabei wurden erstmals seit Beginn der Aufstände im März Kriegsschiffe eingesetzt, um die Proteste niederzuschlagen. (
AFP, 17. August 2011)
Am 9. September berichtet BBC, dass sich landesweit tausende DemonstrantInnen versammelt haben, um internationalen Schutz vor Übergriffen durch die Sicherheitskräfte zu fordern. Einige der DemonstrantInnen verlangten die Entsendung internationaler BeobachterInnen nach Syrien. (
BBC, 9. September 2011)
Am 14. September hat die Armee Angaben von AktivistInnen zufolge Städte und Ortschaften in Jabal al-Zawiya, einer im Nordwesten des Landes gelegenen Region, gestürmt. Eine weitere Region im Nordwesten, al-Ghab, war bereits wenige Tage zuvor Ziel groß angelegter Militäraktionen geworden. (
AlertNet, 14. September 2011)
In einem am 29. September veröffentlichten Artikel beruft sich AlertNet auf Angaben des AktivistInnennetzwerks
Local Coordination Committees, dem zufolge seit 27. September mindestens 27 Personen – darunter 2 Deserteure – bei einer Militäroffensive zur Rückeroberung der Stadt Rastan getötet wurden. Die Stadt war zuvor von Deserteuren unter ihre Kontrolle gebracht worden. (AlertNet, 29. September 2011)
Am 1. Oktober berichten staatliche Medien, dass die Armee nach tagelangen Kämpfen mit Deserteuren die Kontrolle über die Stadt Rastan zurückgewinnen konnte. (
BBC, 1. Oktober 2011)
Am 4. November berichtet BBC, dass Regierungstruppen ihre Angriffe auf die Stadt Homs fortgesetzt haben, obwohl die Regierung zuvor einem Friedensplan der Arabischen Liga zugestimmt hatte. (
BBC, 4. November 2011)
Am 16. November haben Deserteure eine Reihe von Militäreinrichtungen bei Damaskus –darunter ein Geheimdienstgebäude – angegriffen. Mit dem Angriff scheint es, als ob der Konflikt eine neue Eskalationsstufe erreicht hat und die oppositionellen Kräfte zunehmend auf den bewaffneten Kampf statt auf Straßenproteste setzen. (
Guardian, 16. November 2011)
Am 20. November berichtet der
Guardian, dass ein Gebäude der regierenden Baath-Partei in Damaskus von mindestens 2 raketenbetriebenen Granaten getroffen wurde. Bei dem Anschlag, zu dem sich die Freie Syrische Armee bekannt hat, handelte es sich um den ersten Angriff dieser Art in der syrischen Hauptstadt seit Beginn der Proteste. (Guardian, 20. November 2011)
Bei einer Zunahme der Gewalt am 19. und 20. Dezember sind nach Angaben von AktivistInnen landesweit fast 200 Personen getötet worden. Die größten Opferzahlen waren in den Bergregionen der Provinz Idlib und in der Stadt Homs zu verzeichnen. (
BBC, 21. Dezember 2011)
Am 23. Dezember berichtet BBC, dass bei 2 Selbstmordanschlägen auf 2 Geheimdienstgebäude in Damaskus nach Behördenangaben mindestens 44 Personen getötet und 150 weitere verletzt worden sind. Von staatlicher Seite wurde mutmaßlichen al-Qaida-Kämpfern die Verantwortung für die Angriffe zugewiesen. Oppositionelle beschuldigten jedoch die Regierung, die Anschläge selbst verübt zu haben, um ihr Vorgehen gegen die Proteste zu rechtfertigen. (
BBC, 23. Dezember 2011)
Am 31. Dezember berichtet der
Guardian, dass sich landesweit rund 500.000 Personen zu Protesten versammelt haben. Dabei gingen Sicherheitskräfte ungeachtet der Präsenz von BeobachterInnen weiter mit Gewalt gegen DemonstrantInnen vor. (Guardian, 31. Dezember 2011)
2012
Am 6. Jänner sind bei einem Bombenanschlag in Damaskus mindestens 26 ZivilistInnen und Angehörige der Sicherheitskräfte getötet worden, so BBC. Laut Oppositionsgruppen hat die Regierung den Anschlag, der sich im Stadtteil Midan ereignete, selbst organisiert, um die Proteste zu diskreditieren und die BeobachterInnen der Arabischen Liga zu beeinflussen. (
BBC, 7. Jänner 2012)
Am 13. Jänner haben Regierungskräfte AlertNet zufolge die nahe der Grenze zum Libanon gelegene Stadt Zabadani angegriffen, nachdem dort mehrere Demonstrationen gegen das Regime stattgefunden hatten. Dabei handelte es sich um die erste größere Militäroperation seit Eintreffen der BeobachterInnen der Arabischen Liga. Laut Angaben von BewohnerInnen und Opposition konnten aufständische Kämpfer die Regierungstruppen allerdings zurückhalten, so dass sich beide Seiten am 17. Jänner schließlich auf ein Waffenstillstandsabkommen einigten und die Armee wieder aus der Stadt abgezogen wurde. (
AlertNet, 19. Jänner 2012)
Am 30. Jänner berichtet BBC, dass Regierungstruppen mehrere Damaszener Vororte, die von Rebellen der Freien Syrischen Armee unter ihre Kontrolle gebracht worden waren, zurückgewinnen konnten. Bei den Kämpfen am 28. und 29. Jänner, die von AktivistInnen als die schwersten im Umland der Hauptstadt seit Beginn der Proteste bezeichnet wurden, starben mindestens 26 Menschen. (
BBC, 30. Jänner 2012)
BBC beruft sich in einem am 10. Februar veröffentlichten Artikel auf staatliche Medienberichte, denen zufolge mindestens 28 Personen bei 2 Bombenanschlägen auf Gebäude der Sicherheitskräfte in Aleppo getötet und 235 weitere Personen verletzt wurden. Die Freie Syrische Armee teilte anschließend mit, nicht für die Anschläge verantwortlich zu sein (
BBC, 10. Februar 2012).
Am 2. März berichtet der Guardian, dass Regierungstruppen nach einmonatiger Belagerung, bei der Berichten zufolge hunderte Personen getötet wurden, die Kontrolle über das von Rebellen gehaltene Homser Stadtviertel Baba Amr wiedererlangt haben. Laut Berichten kam es in dem Stadtviertel anschließend zu von Soldaten begangenen, tödlichen Vergeltungsangriffen auf ZivilistInnen (
Guardian, 2. März 2012).
Am 15. März berichtet HRW, dass Regierungskräfte am 10. März einen mehrtägigen Angriff auf die Stadt Idlib gestartet haben. Dabei wurden AktivistInnen zufolge mindestens 114 ZivilistInnen getötet. Laut Angaben von AugenzeugInnen haben die Regierungstruppen, nachdem sie in die Stadt vorgedrungen waren, Personen bei Hausdurchsuchungen festgenommen, Gebäude geplündert und Häuser niedergebrannt. (
HRW, 15. März 2012)
Am 18. März wurden Oppositionsangaben zufolge mindestens 3 Personen bei der Explosion einer Autobombe nahe einer Einrichtung der Sicherheitsbehörden in der Stadt Aleppo getötet und 25 weitere verletzt. Staatliche Medien berichteten indes, die Explosion habe sich zwischen zwei Wohngebäuden ereignet. Tags zuvor waren laut Behörden 27 Personen durch 2 Bombenanschläge auf Gebäude der Sicherheitskräfte in Damaskus getötet worden. (
RFE/RL, 18. März 2012)
In einem am 26. April veröffentlichten Artikel beruft sich BBC auf Angaben des oppositionellen Syrischen Nationalrats, dem zufolge fast 100 Personen bei den jüngsten gewaltsamen Vorfällen in der Stadt Hama getötet wurden. Bei einem der Vorfälle handelte es sich laut AktivistInnen um die Explosion eines Hauses, das zuvor von Regierungstruppen beschossen oder von einer Rakete getroffen wurde. Dabei sollen bis zu 70 Personen getötet worden sein. Staatliche Medien berichteten hinsichtlich desselben Vorfalls, dass 16 Personen bei der Explosion eines Gebäudes, das von „bewaffneten terroristischen Gruppen“ als Bombenfabrik genutzt wurde, ums Leben gekommen sind. (
BBC, 26. April 2012)
Am 27. April sind bei einem Selbstmordanschlag im Zentrum von Damaskus 11 Personen ums Leben gekommen. Wenige Tage später, am 30. April, ereigneten sich laut Syrischer Beobachtungsstelle für Menschenrechte 2 Bombenanschläge auf Gebäude der Sicherheitskräfte in der Stadt Idlib und töteten mehr als 20 Personen, darunter mehrheitlich Angehörige der Sicherheitskräfte. Staatliche Medien machten „Terroristen“ für die Anschläge in Idlib verantwortlich und berichteten von 9 getöteten Personen und rund 100 Verletzten. (
AFP, 30. April 2012)
Am 10. Mai sind mindestens 55 Personen bei 2 in der Nähe eines Geheimdienstgebäudes in Damaskus verübten Selbstmordanschlägen getötet und fast 400 weitere Personen verletzt worden (
BBC, 11. Mai 2012). Laut BBC vermutet UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon militante Islamisten von al-Qaida hinter den Anschlägen (
BBC, 18. Mai 2012).
Laut HRW sind am 25. Mai in der aus mehreren Ortschaften bestehenden Region Hula mindestens 108 Personen bei Angriffen von Regierungskräften getötet worden. Angaben von Überlebenden und örtlichen AktivistInnen zufolge war die Region zunächst von Regierungstruppen bombardiert worden. Anschließend griffen bewaffnete Männer in Militärkleidung, bei denen es sich sowohl um Regierungssoldaten als auch Angehörige der regierungstreuen Shabiha-Miliz gehandelt haben könnte, Häuser am Stadtrand an und richteten ganze Familien hin. (
HRW, 28. Mai 2012)
Laut Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sind am 21. Juni – dem Tag mit den bis dahin meisten Todesopfern seit April 2012 – landesweit rund 170 Personen getötet worden, davon mehr als 20 in Damaszener Vororten und eine ähnlich große Anzahl in der Stadt Homs (
BBC, 21. Juni 2012).
Am 6. August ist laut syrischen TV-Berichten eine Bombe im Gebäude des staatlichen TV- und Radiosenders in Damaskus explodiert. Dabei sollen 3 Personen verletzt worden sein. Angaben von BBC zufolge hatten Rebellen in den vorangegangenen Wochen einige Viertel der Hauptstadt eingenommen. Der Armee ist es allerdings gelungen, diese wieder unter ihre Kontrolle zu bringen (
BBC, 6. August 2012). Laut ICG waren die Kämpfe um mehrere Damaszener Stadtviertel am 18. Juli ausgebrochen. Am selben Tag wurden außerdem 4 hochrangige Regierungsvertreter bei einem mutmaßlichen Angriff durch Oppositionelle getötet (
ICG, 1. August 2012, S. 1).
In einem Artikel vom 9. August bezieht sich BBC auf Angaben von AktivistInnen, denen zufolge Regierungstruppen die Stadt Aleppo erneut bombardiert haben, um von den Rebellen 3 Wochen zuvor eingenommene Stadtviertel zurückzuerobern. Bei dem Angriff sollen auch Kampfhubschrauber zum Einsatz gekommen sein. Laut BBC hat die Armee ihre großangelegte Militäroperation zur Rückeroberung der Stadt am 8. August begonnen. (
BBC, 9. August 2012)
MENSCHENRECHTSVERLETZUNGEN
In einem im Jänner 2012 veröffentlichten Bericht stellt AI fest, dass sich die Menschenrechtslage im Jahr 2011 im Vergleich zu vorhergehenden Jahren erheblich verschlechtert hat und die begangenen Menschenrechtsverletzungen Teil eines breit angelegten und systematischen Angriffs auf die Zivilbevölkerung waren. Aufgrund ihrer Schwere und ihres Ausmaßes erfüllten die Menschenrechtsverletzungen den Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit. (
AI, 9. Jänner 2012, S. 31)
Die Zahl der Todesfälle unter Gefangenen hat laut einem im August 2011 veröffentlichten AI-Bericht seit Beginn der Proteste deutlich zugenommen. Dem Bericht zufolge kamen im Zeitraum vom 1. April bis zum 15. August 2011 88 Personen in Haft ums Leben (
AI, 31. August 2011, S. 4). Ein AI-Bericht vom Jänner 2012 geht von mindestens 190 Todesfällen von Gefangenen seit Beginn der Proteste aus (
AI, 9. Jänner 2012, S. 30).
Am 7. September 2011 wurden 18 verwundete Personen laut
HRW von Sicherheitskräften gewaltsam aus einem Krankenhaus in der zentralsyrischen Stadt Homs entfernt. Fünf der betroffenen Personen wurden aus dem Operationssaal geholt. Am selben Tag wurde medizinisches Personal außerdem daran gehindert, Verletzte in mehreren Stadtteilen zu erreichen. (HRW, 8. September 2011)
Laut einem AI-Bericht vom 25. Oktober 2011 sind verletzte DemonstrantInnen in mindestens vier staatlichen Krankenhäusern von Sicherheitskräften und KrankenhausmitarbeiterInnen beschimpft und körperlich angegriffen worden. In einigen Fällen wurde den Verletzten die medizinische Behandlung verweigert, zudem wurden viele der ins Krankenhaus gebrachten DemonstrantInnen verhaftet. Mehrere KrankenhausmitarbeiterInnen, die versucht hatten, PatientInnen zu schützen, wurden ebenfalls verhaftet und in einigen Fällen sogar gefoltert (
AI, 25. Oktober 2011, S. 4-5, 7). Einem AktivistInnen-Netzwerk zufolge sind ÄrztInnen verpflichtet, den Sicherheitsbehörden die Einlieferung von verletzten DemonstrantInnen zu melden, die daraufhin, unabhängig von der Schwere ihrer Verletzung, verhaftet werden (
AFP, 17. Oktober 2011).
Laut einem AI-Bericht wurden viele im Ausland lebende SyrerInnen, die ihre Solidarität mit den DemonstrantInnen in Syrien bekundet haben, von syrischen RegierungsvertreterInnen systematisch überwacht und schikaniert. Einige dieser Exil-SyrerInnen fanden heraus, dass als Folge ihrer Proteste auch ihre in Syrien lebenden Familienangehörigen Ziel der Sicherheitskräfte wurden. (
AI, 3. Oktober 2011, S. 5)
Weitere Informationen zu während des Jahres 2011 begangenen Menschenrechtsverletzungen stellen der AI-Jahresbericht 2012 und der von USDOS veröffentlichte Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2011 zur Verfügung:
AI, 24. Mai 2012;
USDOS, 24. Mai 2012
HRW konstatiert am 3. Februar 2012, dass Armeeangehörige und Mitglieder der Sicherheitskräfte bei der Niederschlagung der Proteste auch Kinder festgenommen und gefoltert haben, ohne sich für dieses Vorgehen verantworten zu müssen. So hat die Menschenrechtsorganisation für das Jahr 2011 mindestens 12 Fälle dokumentiert, in denen Kinder unter unmenschlichen Haftbedingungen festgehalten und gefoltert oder in ihren Häusern oder auf der Straße beschossen wurden. Darüber hinaus wurden Schulgebäude als Hafteinrichtungen, Militärstützpunkte, Kasernen oder Scharfschützenstellungen missbraucht und Kinder aus dem Unterricht heraus verhaftet (
HRW, 3. Februar 2012).
HRW beruft sich in einem Artikel vom März 2012 auf Angaben von AugenzeugInnen, denen zufolge die syrische Armee Landminen entlang der Grenzen zum Libanon und zur Türkei verlegt hat und diese Sprengsätze bereits zu Opfern unter der Zivilbevölkerung geführt haben (
HRW, 13. März 2012).
Im März 2012 berichtet HRW des Weiteren, dass Regierungstruppen im Norden Syriens örtliche BewohnerInnen gezwungen haben, bei Operationen zur Durchführung von Verhaftungen, Truppenbewegungen und Angriffen auf Städte und Dörfer vor ihnen herzulaufen (
HRW, 25. März 2012).
In einem im April 2012 veröffentlichten Bericht geht HRW auf von Sicherheitskräften und regierungstreuen Shabiha-Milizen verübten standrechtlichen und außergerichtlichen Hinrichtungen in den Gouvernements Idlib und Homs ein. Seit Dezember 2011 dokumentierte die Menschenrechtsorganisation 12 solcher Fälle mit mindestens 101 getöteten Personen. Zu den Opfern zählten neben gefangengenommenen oder verwundeten Oppositionskämpfern auch ZivilistInnen, die Augenzeugenberichten zufolge nicht an den Auseinandersetzungen beteiligt waren (
HRW, April 2012, S. 1-2). Ebenfalls im Gouvernmenet Idlib haben Sicherheitskräfte und regierungstreue Milizen im Zeitraum vom 22. März bis zum 6. April 2012 großangelegte Angriffe auf von der Opposition kontrollierte Städte und Dörfer gestartet und dabei mindestens 95 ZivilistInnen getötet, hunderte Häuser und Geschäfte angezündet, zerstört und geplündert sowie Dutzende Personen willkürlich verhaftet, so HRW in einem im Mai 2012 veröffentlichten Bericht. Mindestens 35 der getöteten ZivilistInnen wurden standrechtlich hingerichtet (
HRW, Mai 2012, S. 2).
Weitere Informationen zu von Regierungskräften in den Gouvernements Idlib und Aleppo im Zeitraum von Ende Februar bis Ende Mai 2012 begangenen Menschenrechtsverletzungen stellt AI in einem Bericht vom Juni 2012 zur Verfügung:
AI, 14. Juni 2012
Laut HRW haben Regierungskräfte sexuelle Gewalt angewendet, um Männer, Frauen und Jungen, die während des Konfliktes inhaftiert wurden, zu foltern. Weiters berichteten AugenzeugInnen und Opfer, dass Soldaten und regierungstreue bewaffnete Milizen Frauen sowie Mädchen im Alter von gerade einmal 12 Jahren während Hausdurchsuchungen und Militärrazzien in Wohngebieten sexuell missbraucht haben. (
HRW, 15. Juni 2012)
Ein im Juli 2012 von HRW veröffentlichter Bericht stellt detaillierte Informationen zu einem von den syrischen Geheimdiensten betriebenen Netzwerk von Haftanstalten zur Verfügung. Die Informationen umfassen unter anderem Angaben zur geographischen Lage der Haftanstalten, zu den Geheimdiensten, die für deren Betrieb verantwortlich sind, sowie zu dort angewendeten Methoden der Misshandlung und Folter:
HRW, Juli 2012
AI geht in einem Bericht vom August 2012 auf das Vorgehen der syrischen Sicherheitskräfte sowie der Schabiha-Miliz gegen Anti-Regierungs-Demonstrationen in der Stadt Aleppo ein, die in den vorangegangenen Monaten zugenommen haben. Dabei wurden Dutzende DemonstrantInnen und umstehende Personen – mehrheitlich junge Männer und Jungen, aber auch einige Kinder und ältere Männer – erschossen und hunderte weitere verletzt. Die Familien der Getöteten wurden dazu gedrängt, Erklärungen zu unterzeichnen, wonach ihre Angehörigen von „bewaffneten terroristischen Banden“ getötet worden seien.
Der Bericht erwähnt weiters, dass verwundete Personen, die sich in ein Krankenhaus begeben, riskieren, verhaftet und gefoltert zu werden. Darüber hinaus wurden auch Ärztinnen und Ärzte, KrankenpflegerInnen und ErsthelferInnen, die verletzten DemonstrantInnen in provisorischen, geheimen „Feldlazaretten“ lebensrettende, medizinische Behandlungen bereitgestellt haben, von Sicherheitskräften verhaftet, gefoltert und sogar getötet.
AktivistInnen, die Proteste organisieren, sowie Personen, die verdächtigt werden, an Demonstrationen teilgenommen, Flugblätter gegen die Regierung oder Fahnen der Opposition hergestellt oder verteilt, oder DemonstrantInnen anderweitig unterstützt zu haben, werden oftmals verhaftet und willkürlich inhaftiert. Dabei wird ihnen kein Kontakt zu ihren Familien oder AnwältInnen gewährt. Inhaftierte werden üblicherweise gefoltert, in einigen Fällen mit Todesfolge. Manche sind seit ihrer Verhaftung verschwunden, ohne Informationen über ihren Verbleib. (
AI, 1. August 2012, S. 5-6)
In einem an den SNC und andere führende Oppositionsgruppen gerichteten offenen Brief vom 20. März 2012 stellt HRW fest, dass die syrische Opposition schwere Menschenrechtsverletzungen begangen hat. Dazu zählen unter anderem Entführungen, Inhaftierungen und Folter von Angehörigen der Sicherheitskräfte, UnterstützerInnen der Regierung sowie Mitgliedern der regierungstreuen Shabiha-Milizen. Darüber hinaus liegen HRW Berichte über von bewaffneten Oppositionsgruppen vorgenommene Hinrichtungen von Angehörigen der Sicherheitskräfte und ZivilistInnen vor. (
HRW, 20. März 2012)
Am 16. April 2012 erwähnt auch eine von der UNO eingesetzte Untersuchungskommission zu Syrien ihr vorliegende Berichte, in denen von bewaffneten regierungsfeindlichen Gruppen begangene Menschenrechtsverletzungen beschrieben werden (
OHCHR, 16. April 2012).
Navi Pillay, Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, erhält eigenen Aussagen zufolge immer mehr Berichte über oppositionelle Kämpfer, die Gefangene foltern oder hinrichten, so das ihr unterstellte Büro (Office of the High Commissioner for Human Rights, OHCHR) am 27. Juli 2012 (
OHCHR, 27. Juli 2012).
INTERNATIONALE REAKTIONEN
Dem Guardian zufolge haben die EU, die USA und die Arabische Liga Wirtschaftssanktionen gegen das syrische Regime verhängt (
Guardian, 14. Dezember 2011). Zu den EU-Sanktionen zählen unter anderem das Einreiseverbot für RegierungsvertreterInnen, Vermögenssperren, das Verbot von Waffenlieferungen an Syrien, das Importverbot für syrisches Öl, das Investitionsverbot in die syrische Ölindustrie sowie das Verbot, Banknoten an die syrische Zentralbank zu liefern (
RFE/RL, 11. Mai 2011,
BBC, 24. Juni 2011,
IWPR, 2. September 2011,
RFE/RL, 23. September 2011,
AFP, 14. Oktober 2011,
RFE/RL, 15. November 2011,
AlertNet, 28. Februar 2012,
BBC, 14. Mai 2012). Von US-amerikanischer Seite wurden Vermögenssperren verhängt und Geschäftsbeziehungen zwischen US-BürgerInnen und von Sanktionen betroffenen SyrerInnen untersagt (
BBC, 18. August 2011,
RFE/RL, 31. März 2012).
Laut Agence France-Presse (AFP) hat auch die Türkei Wirtschaftssanktionen gegen Syrien verhängt. Das Land entschied, alle Transaktionen mit der syrischen Regierung und der syrischen Zentralbank zu verbieten und Konten von syrischen RegierungsvertreterInnen in der Türkei einzufrieren. (
AFP, 30. November 2011)
Im November 2011 berichtet der Guardian, dass die Arabische Liga wegen der anhaltenden Gewalt gegen DemonstrantInnen Syriens Mitgliedschaft in der Organisation ausgesetzt hat (
Guardian, 12. November 2011). Laut BBC hat die Arabische Liga darüber hinaus im Dezember 2011 BeobachterInnen nach Syrien entsendet, um die Einhaltung eines mit der syrischen Regierung vereinbarten Friedensplans zu überwachen (
BBC, 7. Jänner 2012). OppositionsaktivistInnen befürchten allerdings, die Beobachtungsmission könnte dazu beitragen, die Vergehen der syrischen Regierung zu verschleiern (
AlertNet, 28. Dezember 2011).
AlertNet beruft sich Anfang Jänner 2012 auf Angaben oppositioneller AktivistInnen, denen zufolge die Regierung gegen Bestimmungen des Friedensplans verstoßen und ihre Truppen nicht aus Wohngebieten abgezogen hat. Damit widersprachen die AktivistInnen den BeobachterInnen der Arabischen Liga, die von einem Abzug der Armee berichteten. (
AlertNet, 5. Jänner 2012)
Am 28. Jänner 2012 berichtet AlertNet, dass sich die Arabische Liga angesichts der zunehmenden Gewalt in Syrien entschlossen hat, ihre Beobachtungsmission zu stoppen. Bereits zuvor hatten die Golfstaaten mit Verweis auf die Erfolglosigkeit der Beobachtungsmission ihre BeobachterInnen aus Syrien abgezogen. (
AlertNet, 28. Jänner 2012)
Das iranische Regime hat indes die Unruhen in Syrien als Teil einer internationalen Verschwörung zur Schwächung des syrischen Widerstandes gegen Israel verurteilt, so BBC. (
BBC, 14. April 2011)
In einem am 30. Jänner 2012 veröffentlichten Artikel berichtet BBC über russische Waffen- und Munitionslieferungen an das Regime von Präsident Assad, einem langjährigen Verbündeten Russlands. Weiters wird berichtet, dass Russland und China im Oktober 2011 ihr Veto gegen eine UNO-Resolution zum Konflikt in Syrien eingelegt haben, da sie eine ausländische Militärintervention wie in Libyen befürchteten. Die russische Regierung ist der Ansicht, dass Regierung und Opposition in Syrien gleichermaßen für die Gewalt verantwortlich sind und sich der Konflikt nur diplomatisch lösen lässt. (
BBC, 30. Jänner 2012)
Eine weitere, am 4. Februar 2012 zur Abstimmung vorgelegte UNO-Resolution zu Syrien wurde ebenfalls von Russland und China blockiert (
HRW, 4. Februar 2012).
BBC berichtet Ende April 2012, dass die UNO eine Beobachtungsmission nach Syrien entsendet hat, um die Einhaltung eines von Kofi Annan ausgehandelten und am 12. April 2012 in Kraft getretenen Waffenstillstandes zu überwachen. Einer Resolution des UNO-Sicherheitsrates vom 27. April 2012 zufolge soll die zum Zeitpunkt des Beschlusses 15-köpfige Mission auf 300 BeobachterInnen aufgestockt werden (
BBC, 27. April 2012). Am 16. Juni 2012 bezieht sich BBC auf Angaben des Leiters der UNO-Beobachtungsmission, dem zufolge die Mission ihre Tätigkeit angesichts eskalierender Gewalt vorübergehend eingestellt hat (
BBC, 16. Juni 2012).
Wie BBC am 4. August 2012 berichtet, ist Kofi Annan als Sondergesandter von UNO und Arabischer Liga zurückgetreten und sein 6 Punkte umfassender Friedensplan gescheitert (
BBC, 4. August 2012).
· AFP - Agence France-Presse: 28 killed in Syria as protests hit new peak: activists, 15. Juli 2011 (veröffentlicht von ReliefWeb) [ID 199336]
http://reliefweb.int/node/426094· AFP - Agence France-Presse: Syrian army kills 100 in Hama crackdown: activists, 31. Juli 2011 (veröffentlicht von ReliefWeb) [ID 199343]
http://reliefweb.int/node/438111· AFP - Agence France-Presse: At least 10 dead, Syria makes sweeping arrests, 17. August 2011 (veröffentlicht von ReliefWeb) [ID 200402]
http://reliefweb.int/node/441421· AFP - Agence France-Presse: 19 killed in Syria clashes, EU slaps sanctions, 14. Oktober 2011 (veröffentlicht von ReliefWeb) [ID 203563]
http://reliefweb.int/node/452760· AFP - Agence France-Presse: Syria 'targets doctors who treat protesters', 17. Oktober 2011 (veröffentlicht von ReliefWeb) [ID 203974]
http://reliefweb.int/node/453305· AFP - Agence France-Presse: Syria in 'fiercest' crackdown around capital: rights group, 19. Oktober 2011 (veröffentlicht von ReliefWeb) [ID 203985]
http://reliefweb.int/node/453776· AFP - Agence France-Presse: Flood of sanctions fails to halt Syrian bloodshed, 30. November 2011 (veröffentlicht von ReliefWeb) [ID 206769]
http://reliefweb.int/node/462217· AFP - Agence France-Presse: Syria finally agrees to Arab League observers, 19. Dezember 2011 (veröffentlicht von ReliefWeb) [ID 207428]
http://reliefweb.int/node/465986· AFP - Agence France-Presse: More bloodshed as Syrians vote on new constitution, 26.Februar 2012 (veröffentlicht von ReliefWeb) [ID 210998]
http://reliefweb.int/node/479077· AFP - Agence France-Presse: Syrian forces launch ground assault on rebel city, 1. März 2012 (veröffentlicht von ReliefWeb) [ID 211263]
http://reliefweb.int/node/479705· AFP - Agence France-Presse: Syria accepts April 10 peace deadline: Annan, 2. April 2012 (veröffentlicht von ReliefWeb) [ID 213072]
http://reliefweb.int/node/487178· OHCHR - Office of the High Commissioner for Human Rights: UN Commission Of Inquiry On Syria Welcomes Arrival Of Observers To Monitor The Ceasefire In Syria, 16. April 2012 (verfügbar auf ecoi.net) [ID 214205]
http://www.ecoi.net/local_link/214205/334708_de.html· UNITAR/UNOSAT - United Nations Institute for Training and Research/Operational Satellite Applications Programme: Situation Map: Syria Uprising (as of 1 Dec 2011), 1. Dezember 2011 (veröffentlicht von ReliefWeb, verfügbar auf ecoi.net) [ID 210034]
http://www.ecoi.net/file_upload/2016_1328960620_map-1401.pdf Dieses Themendossier beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche ausschließlich auf ecoi.net. Es ist als Einstieg in bzw. Überblick über ein Thema gedacht und stellt keine Meinung zum Inhalt eines Ansuchens um Asyl oder anderen internationalen Schutz dar. Alle Übersetzungen stellen Arbeitsübersetzungen dar, für die keine Gewähr übernommen werden kann. Jede Aussage stammt von einem Dokument, das auf ecoi.net verfügbar ist und wird mit einer ID-Suche referenziert.