Konfliktporträt: Sudan/Darfur

Mehrere Verhandlungsrunden und Friedensmissionen konnten den Krieg der darfurischen Rebellen gegen die Zentralregierung bislang nicht eindämmen. Die Rebellen beschränken sich mittlerweile nicht mehr auf regionale Forderungen, sondern verlangen gesamtstaatliche Veränderungen. Der Krieg droht erneut zu eskalieren.
 

Aktuelle Konfliktsituation



Der Charakter des 2003 ausgebrochenen Darfur-Krieges hat sich in den letzten Jahren verändert. Die Rebellengruppe Justice and Equality Movement (JEM) und verschiedene Fraktionen des Sudan Liberation Movement/Army (SLM/A) haben sich 2011 der Sudan Revolutionary Front (SRF) angeschlossen und verfolgen seither eine nationale politische Agenda. Spätestens seit diesem Zeitpunkt ist klar, dass der Darfur-Krieg Teil einer nationalen politischen Systemkrise des Sudan ist und nicht nur ein regional begrenzter Konflikt. Die SRF insistiert, dass Friedensverhandlungen sich nicht auf Darfur beschränken dürften, sondern durch die Einbeziehung der beiden anderen sudanesischen Kriegsregionen Nuba und Blauer Nil umfassend gestaltet werden müssten. Das Regime in Khartum versucht hingegen weiterhin, an den rein auf Darfur bezogenen sogenannten Doha-Friedensprozess anzuknüpfen.

Das Regime in Khartum setzt in jüngerer Zeit nicht nur die nationale Armee sein, sondern auch Milizionäre, sogenannte schnelle Unterstützungstruppen (Rapid Support Forces – RSF), denen schwere Menschenrechtsverletzungen gegen die Zivilbevölkerung vorgeworfen werden. Die Lage vor Ort hat sich auch verschlechtert, weil seit August 2012 eine deutliche Zunahme lokaler Konflikte zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen –meist um Land und andere Ressourcen – zu verzeichnen ist. Insbesondere diese Konfliktdimension hat allein 2013 zu fast 400.000 neuen Binnenflüchtlingen in Darfur geführt. Die lokalen Streitigkeiten werden zudem durch die schlechte wirtschaftliche Lage des gesamten Sudan und weitere Ursachen wie Dürren angefacht. Konfliktverschärfend wirken nicht zuletzt die seit Langem bestehenden Streitigkeiten zwischen den Rebellengruppen und ein verbreitetes Banditentum. Beide Phänomene führen in der gesamten Region zu einem Klima der Gesetzlosigkeit.

Die internationalen Friedenstruppen UNAMID (African Union/United Nations Hybrid Operation in Darfur; das Kürzel wurde von der ursprünglichen Bezeichnung United Nations Mission in Darfur beibehalten) haben trotz jahrelanger Präsenz ihre wesentlichen Ziele nicht erreicht. Eine politische Lösung zur Beendigung des Darfur-Krieges ist nicht in Sicht und der von der UNAMID unterstütze Friedensprozess kommt kaum voran. In Darfur hat sich die Situation der Zivilbevölkerung kaum verbessert. Im Gegenteil: Angesichts der steigenden Zahl an Binnenflüchtlingen und der stark zunehmenden Gewalt warnten die Vereinten Nationen Anfang 2014 vor einer weiteren Eskalation des Krieges. Daher ist eine Neuausrichtung der Ziele der UNAMID zu erwarten; sie wird vermutlich den Schutz der Zivilbevölkerung stärker in den Vordergrund rücken.
 

Ursachen und Hintergründe



Hinter der Autonomieforderung Darfurs steht ein ausgeprägter Zentrum-Peripherie-Konflikt zwischen der Zentralregierung in Khartum und dem politisch wie wirtschaftlich marginalisierten Westen des Landes. Weil Darfur vom Friedensprozess zwischen Nord- und Südsudan und der damit verbundenen Neuverteilung von Macht und Ressourcen ausgeschlossen blieb, entschieden sich die darfurischen Rebellenorganisationen SLM/A und JEM im Frühjahr 2003 für den Waffengang.

Der Konflikt wird von vielfältigen Landnutzungskonflikten zwischen viehzüchtenden Nomaden und Ackerbauern überlagert, die sich infolge langer Dürreperioden und zunehmender Desertifikation seit Mitte der 1980er Jahre massiv verschärft haben. Sie werden von der Regierung instrumentalisiert, um die afrikanischen und arabischen Bevölkerungsgruppen Darfurs gegeneinander auszuspielen.

Als Reaktion auf die ersten Erfolge der JEM und SLM/A setzte die Zentralregierung Milizen (sog. Janjaweed) ein. Die aus Darfur und benachbarten Ländern angeheuerten Söldner gingen mit Unterstützung der Regierungsarmee äußerst brutal gegen die Zivilbevölkerung vor.2 Auch im zehnten Kriegsjahr setzt die Regierung weiterhin Milizen, sogenannte "schnelle Hilfstruppen", gegen die Zivilbevölkerung in Darfur ein. Neben der afrikanischen Bevölkerung stellen sich zunehmend auch arabische Gruppen gegen die Zentralregierung, wodurch sich schrittweise eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse zugunsten der Rebellen ergeben könnte. Auf Seiten der Rebellen gibt es jedoch zahlreiche Splittergruppen, deren divergierende Ansprüche eine Verhandlungslösung erschweren. Ursachen für diese Zersplitterung sind die ethnisch-regionalen Unterschiede und die konkurrierenden politischen Eliten.

Die Entwicklungen in ganz Sudan und in den Nachbarländern bestätigen, dass der Darfur-Krieg kein bloßer Provinzkonflikt ist, sondern Ausdruck der politischen Systemkrise des gesamten Sudan. Die Verbindungen der Darfur-Rebellen zu politischen Gruppen in anderen Landesteilen rühren an Grundlagen der Macht- und Ressourcenverteilung, die eine separate Lösung des Darfur-Konfliktes unmöglich machen. Die Unabhängigkeit des Republik Südsudan am 9. Juli 2011 infolge eines Referendums hat die politische Lage im Rest des Landes weiter verkompliziert.

Nach der Entspannung des Verhältnisses zum Nachbarland Tschad hatte sich die regionale Konfliktkonstellation seit 2010 etwas verbessert. 2013 wurden sogar mehrere Infrastrukturprojekte wie eine Straßen- und Eisenbahnverbindung zwischen Sudan und Tschad beschlossen. Die Libyen-Krise 2011 hat jedoch bis heute durch das Einsickern von Waffen erhebliche negative Auswirkungen auf die Lage in Darfur. Die Verwicklung der darfurischen Rebellengruppen in den seit Dezember 2013 im Südsudan ausgebrochenen Bürgerkrieg hat die Lage erneut verkompliziert. Insbesondere der JEM wird vorgeworfen, auf Seite der Regierungstruppen des Südsudan gegen die dortigen Rebellen um Riak Macher zu kämpfen.
 

Bearbeitungs- und Lösungsansätze



Nach dem Kriegsausbruch 2003 gab es fast ein Jahr lang keine nennenswerten internationalen Versuche einzugreifen. Man wollte offenbar erst den Friedensprozess zwischen Nord- und Südsudan zu Ende führen.

Erst der US-amerikanische Kongress, der im Juni 2004, den Darfur-Krieg als Genozid charakterisierte, brachte eine Wende. Daraufhin stieg das Interesse der internationalen Medien und der Staatengemeinschaft sprunghaft an. Die UN-Untersuchungskommission kritisierte zwar ebenfalls die massiven Menschenrechtsverletzungen, hat aber keinen Völkermord festgestellt. Laut UNO sind bis heute in Darfur über 200.000 Menschen ums Leben gekommen, über 2,6 Mio. Menschen sind Binnenflüchtlinge oder in den benachbarten Tschad geflohen.

Erstmals wurde 2004 unter der Ägide der Afrikanischen Union (AU) in Abuja (Nigeria) über einen Friedensvertrag verhandelt. Im Mai 2006 besiegelte das Darfur Peace Agreement (DPA) einen Teilfrieden mit der SLM-Minawi, einer der drei damaligen Rebellengruppen. Die Hoffnung, weitere Rebellengruppen zur Unterzeichnung zu bewegen, blieb Illusion. Das Abkommen verstärkte stattdessen die Zersplitterung der Rebellengruppen; die Sicherheitslage in Darfur verschlechterte sich. Der Ansatz der AU, den Darfur-Krieg als isolierten Konflikt zu verhandeln, ohne die vielfältigen Bezüge zur gesamtsudanesischen Situation ausreichend zu berücksichtigen, erwies sich als strategisch falsch. Auch das mit Unterstützung von UNO und AU am 14. Juli 2011 erzielte Friedensabkommen von Doha (Katar) mit dem Liberation and Justice Movement (LJM) hat kaum Konsequenzen für das Kriegsgeschehen. Der Friedensprozess kam nicht voran.

2005 versuchte die AU, den Waffenstillstand mit der Friedensmission AMIS zu sichern – allerdings nur mit kurzfristigem Erfolg. Angesichts der sich verschlechternden Sicherheitslage und der katastrophalen humanitären Situation beschloss der Sicherheitsrat 2007 mit der Resolution 1769 eine Hybridmission von UNO und AU mit robustem Mandat gemäß Kap. VII der Charta. Die UNAMID-Mission, die derzeit etwa 4.500 Zivilsten und 21.000 Soldaten und Polizisten umfasst und jährlich rund 1,6 Mrd. US-Dollar kostet, ist aufgrund der schwierigen Bedingungen in Darfur auf eine enge Kooperation mit der sudanesischen Regierung angewiesen. Ihr Mandat gilt derzeit bis 31.8.2014. Die Vereinten Nationen haben im Februar 2014 jedoch festgestellt, dass die UNAMID-Mission auch nach sieben Jahren ihre wesentlichen Ziele nicht erreicht hat. Zudem hat sich der Charakter des Darfur-Krieges derart verändert, dass das Mandat der Mission neu ausgerichtet werden soll und interne Steuerungsprobleme dringend geklärt und überwunden werden müssen.

Neben der internationalen Friedensmission gab es bisher mehrere Initiativen zur Lösung des Darfur-Krieges. Bereits im Oktober 2009 hatte das sogenannte High Panel der Afrikanischen Union unter Vorsitz des ehemaligen südafrikanischen Präsidenten, Thabo Mbeki, Vorschläge für eine Lösung des Konfliktes ausgearbeitet, die jedoch keine nennenswerten Folgen für die Konfliktentwicklung hatten. Das Mandat einer von der UNO bereits 2005 eingesetzten hochrangigen Expertengruppe wurde mehrfach verlängert; sie kann innerhalb des Sudan jedoch nicht ungehindert arbeiten.

Der Internationale Strafgerichtshofs (IStGH) bearbeitet derzeit sechs Fälle im Zusammenhang mit dem Darfur-Krieg, u.a. gegen den sudanesischen Präsidenten, den derzeitigen Verteidigungsminister und gegen mehrere Rebellenführer. Besonders der bereits 2009 ausgestellte Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Omer el Bashir hat die politische Situation in Darfur und Sudan zusätzlich verkompliziert und den außenpolitischen Spielraum der Regierung stark eingeschränkt. Bashir werden Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Am 3.2.2010 wurde der Haftbefehl um den Genozidvorwurf erweitert. Der Haftbefehl wird in der arabischen Welt und in Afrika vielfach als Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Sudan kritisiert.
 

Geschichte des Konflikts



Darfur wurde als eigenständiges Sultanat erst 1917 in die britisch-ägyptische Kolonie Sudan eingegliedert. Die Grenze verläuft quer durch das Siedlungsgebiet verschiedener Bevölkerungsgruppen. In Darfur leben heute etwa 6 Mio. Menschen. Neben der größten Bevölkerungsgruppe der Fur (DarFur heißt "Land der Fur") sind dies die Zaghawa, Rizeigat, Masalit u.a. Die Provinz wurde 1994 in drei Bundesstaaten (Süd-, West- und Norddarfur) geteilt.

Im Jahr 2000 wurde in Khartum das sogenannte Black Book anonym veröffentlicht. Es belegt die Dominanz der nordsudanesischen Elite in Politik und Verwaltung und die Ausgrenzung anderer Bevölkerungsgruppen. Es trug wesentlich zur Mobilisierung junger Darfuris bei. Im Jahr 2003 begannen die zwei Rebellenbewegungen SLM/A und JEM den bewaffneten Widerstand. Die Regierung reagierte mit Luftangriffen und dem Aufbau der Janjaweed.

Mit dem symbolträchtigen Angriff auf Omdurman (Khartum) im Mai 2008 schaffte es die JEM, den Darfur-Krieg in die Hauptstadt zu tragen. Die völlig überraschten Sicherheitskräfte konnten die Rebellen zwar zurückschlagen, doch die JEM hatte damit ihre Vormachtstellung unter den Rebellen und ihren nationalen politischen Anspruch verdeutlicht. Am 24. Dezember 2011 wurde der damalige Führer der JEM, Dr. Khalil Ibrahim, jedoch durch einen Drohnenangriff der Regierung in Khartum getötet.

Mit der Kombination von Friedensgesprächen und Friedensmissionen konnte der Konflikt bislang nicht gelöst werden. Eine Regelung scheitert immer wieder an der Zerstrittenheit der Darfur-Rebellen und der Obstruktion der sudanesischen Regierung, aber auch an der mangelnden Koordination der internationalen Akteure. Angesichts der Erfolglosigkeit der internationalen Bemühungen wurden 2007 die Truppen der UNO und der AU mit einem robusten Mandat ausgestattet und der internationale Strafgerichtshof mit der Verfolgung schwerer Menschenrechtsverletzungen beauftragt.
 

Literatur



Bassil, Noah R. (2012): The post-colonial state and civil war in Sudan: The origins of conflict in Darfur, London: I.B. Tauris.

Flint, Julie/ de Waal, Alex (2008): Darfur. A New History of a Long War, London/New York: Zed Books.

Grawert, Elke: (2011): Sudan: Interventionen Light? In: Johannsen M./ Schoch, Bruno u.a.: Friedensgutachten 2011, Berlin: Lit Verlag, S. 235-247.

Grawert, Elke (Hrsg.) (2010): After the Comprehensive Peace Agreement in Sudan. Eastern Africa Series, Suffolk: James Currey.

Johnson, Douglas H. (2011): The Root Causes of Sudan´s Civil Wars, Oxford: James Currey (Revised Edition).

Khalafalla, Khalid Y. (2005): Der Konflikt in Darfur, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 4/2005).

Mamdani, Mahmood (2009): Saviors and Survivors. Darfur, Politics and the War on Terror, New York: Pantheon Books.

Posor, Friederike Maria (2013): Der Darfur-Konflikt und seine Auswirkungen auf die internationale Staatengemeinschaft. Vor dem Hintergrund neuer völkerrechtlicher Rechtsfortbildung, Frankfurt am Main.

Prunier, Gérard (2008): Darfur. A 21st Century Genocide, Ithaca/New York: Cornell University Press.
 

Links



»Ein Überblick von Amnesty International zu Darfur«

»Aktuelle Nachrichtenmeldungen zum Sudan im Netz«

»Berichte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen auf der Website der UNAMID Mission«

»Information in Verbindung mit humanitären Fragen«

»Kurzberichte und Analysen der Friedrich-Ebert -Stiftung zum Sudan«

»Berichte der International Crisis Group zu Sudan«


 
  Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/de/